Seit 1992 schneidet der US-amerikanische Editor Tim Squyres die Filme von Regisseur Ang Lee. Mit Life of Pi-Schiffbruch mit Tiger stellte er sich der neuen Herausforderung der Arbeit mit dem 3D-Format. Anlässlich der Veröffentlichung der Blu-ray 3D von Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger konnte ich ein Interview mit den oscarnominierten Editor über seine Arbeit an dem 3D-Meisterwerk führen:
Tim, ich habe gehört, dass Sie als Editor des Films sogar Zeit im Rettungsboot der Tsimtsum verbracht haben- wie kam es dazu?
Die meiste Zeit der Dreharbeiten habe ich allein in meinem Schnittraum in New York verbracht, aber für den Zeitraum von sieben Wochen war ich bei den Dreharbeiten in Taiwan vor Ort. Wir haben die Szene, in der Pi Patel den Tiger Richard Parker mit einem Stock zu dressieren versucht, filmisch aufgeteilt. Aus Sicherheitsgründen waren der Schauspieler Suraj Sharma und der Tiger niemals zur gleichen Zeit im Boot. Zuerst haben wir die Sequenz mit dem realen Tiger gedreht, danach mit unserem Schauspieler. Dafür musste jemand im Boot sein, um das aufgezeichnete Material in der Interaktion deckungsgleich zu bringen und Anweisungen zu geben, das war meine Rolle.
Sie waren an allen visuellen Gestaltungsprozessen des Films beteiligt, wie weit haben sie an der Prävisualierung mitgearbeitet?
Ich war an der Previz beteiligt, wenn auch nicht so intensiv wie Ang Lee. Allerdings bestand meine Aufgabe nicht so sehr im Design der Shots. Was die anderen Abteilungen fertig stellten, haben sie mir gegeben, ich habe es zusammengesetzt.
Sie haben den kompletten Filmschnitt in 3D ausgeführt, was war daran die schwierigste Aufgabe?
Wir haben den ganzen Film in 3D geplant und gedreht. Daher wollten wir auch in 3D schneiden. Wir wollten dem Zuschauer das bestmögliche Erlebnis bieten. Wir wollten ausprobieren, was gut funktioniert, und was nicht. Hätten wir in 2D geschnitten und später 3D hinzugenommen, hätte es Schwierigkeiten mit der Dynamik und den Anschlüssen gegeben, z.B. wenn der räumliche Fokus weiter hinten im Raum liegt und im Schnittwechsel nach vorne springt. Auch wenn ein ganzer Tag 3D-Schnitt sehr anstrengend ist, stand das Editing in 3D-Stereo für uns außer Frage.
In der Szene mit den fliegenden Fischen haben Sie den Scope-on-Flat-Effekt in einer längeren Sequenz als räumlichen Effekt eingesetzt. Entwickeln sich durch das 3D-Format neue Gestaltungsmittel, mit denen Sie arbeiten können?
Das würde ich nicht so intellektualisieren. Wir hatten überlegt den Effekt im Film sogar häufiger einzusetzen, uns letztlich aber dagegen entschieden. In der Szene mit den fliegenden Fischen war es optimal, wir konnten die Fische in einer Bewegung entlang der Z-Achse gestalten und sie vor der Leinwand plastisch erscheinen lassen. Durch die Illusion konnten wir sie räumlich vor die Leinwand bringen können, indem wir sie auf den zusätzlichen schwarzen Rahmen des Caches oben und unten platzierten. Der Vorteil liegt darin, dass der Zuschauer seine Augen nicht wie bei OutOfScreen-Effekten konvergieren muss. Wir bleiben in der Raumtiefe also auf der Ebene der Leinwand und dahinter, haben aber dennoch den immersiven Effekt der aus der Leinwand heraus- oder hereinspringenden Fische. Für den Zuschauer ist das angenehmer zu betrachten, gerade weil es viele schnelle Bewegungen gibt.
Wie haben sie 3D als Storytelling-Tool genutzt? Ich persönlich hatte sowohl im Kino wie auf bei der Blu-ray 3D das Gefühl von Seekrankheit. Haben Sie versucht beispielsweise durch eine bewusst falsche Deckungsgleichheit der beiden Bilder das Gefühl von Unwohlsein zu verstärken?
Grundsätzlich sollte 3D so komfortabel wie möglich zu sehen sein. Es ist für das Auge herausfordernd genug, schnellen Bewegungen zu folgen. Entscheidend ist die Dynamik der 3D-Bilder und ein gutes Tiefengrading, um die Szenen in Schnitten optimal anzupassen. Mitunter haben wir das Tiefenbudget einer ganzen Szene in der Postproduktion angepasst, um es für den Zuschauer komfortabler zu gestalten.
Die zweite Regel ist der Einsatz von 3D innerhalb der Dramaturgie. Beispielsweise in der Sequenz des Schiffbruchs, wo Pi Patel unter Wasser vom Schiff wegdriftet. Normalerweise würde man die Konvergenz auf das sich entfernende Schiff oder auf die Ebene der Leinwand setzen. Wir haben uns für eine andere Gestaltung entschieden. Als das Schiff driftet, holen wir die Konvergenz nach vorn um das Versinken zu akzentuieren. Damit betonen wir den Sturz ins Wasser und verstärken den dramatischen Effekt.
Es gibt unterschiedliche Stellen im Film, wo wir dies ähnlich einsetzten, beispielsweise in der Episode auf der Insel mit den Meerkatzen. In einem weiten Shot ist das Bild ein wenig rückwärtig konvergiert. In der anschließenden mittleren ebenfalls etwas rückwärtig, dort, wo die Augen sich in einem Normalzustand finden, von dort kann man die Nähe etwas hervor holen. In der folgenden Einstellung gehen wir nun in den Nahbereich. Das 3D-Bild bleibt trotz vieler Details komfortabel in der Rezeption.
Sehen Sie die aufkommende Technik des 3D-Sounds (Life of Pi konnte in Dolby Atmos im Kino erlebt werden) als unterstützendes oder zum Bild eher konkurrierendes System? Wie entscheiden Sie im Schnitt, was visuell durch Bilder oder auditiv durch die Soundebene räumlich erzählt und transportiert wird?
Audio war schon immer in räumlich. Aber im neuen Atmos-Tonformat hat man viel mehr Kontrolle über die Tonebene. Wir haben für Life of Pi verstärkt atmosphärische Elemente genutzt, wie das Rauschen des Windes oder vorbeiziehende Vögel. In der Szene mit den fliegenden Fischen konnten wir die 3D-Tonmöglichkeiten hervorragend als Gimmick einsetzen, die Fische flogen an den Seiten und über die Zuschauer entlang der Z-Achse durch den Kinoraum in und hinter die Leinwand.
Die Musik war schwierig im 3D-Sound zu mischen. Wir haben uns entschieden die Musik im Kinoraum zu platzieren, da sie nicht diegetisch ist, es gibt bis auf die Tanzszene keine Musiker im Bild. Dadurch behalten wir Tonebenen an und vor der Leinwand frei für die Dialoge, die trotz umgebender kräftiger Klangkulisse klar verständlich bleiben. In der Szene wo Pi in seiner Verzweiflung zu seinem Gott fleht, legen wir die Tonebene in den oberen Bereich (der Lautsprecherpunkt wird klassischerweise auch als „Voice of God“ bezeichnet).
Ein wunderbarer Effekt, bei dem wir in der Mischung immer dachten, dass wir es nicht übertreiben sollten, als wir das Ergebnis aber auf der großen Leinwand sahen, waren wir selbst immer wieder von der großartigen Wirkung überrascht. Die Bilder werden größer. Innerhalb des Sturms befindet man sich mittendrin, es gibt kein Entkommen. Beim Versinken in das Wasser umgibt einen der Ozean völlig. Somit transportieren wir die Gefühle und Gedanken des Protagonisten auf einer Empfindungsebene zu den Zuschauern. Das ist sehr wirksam.
In der letzten Szene des Films wird das 3D-Bild auf der Leinwand zunehmend flacher, dafür wird die Musik viel weiter und nimmt den Kinoraum ein, das ist ein wunderbares Zusammenspiel.
Nach all den Erfahrungen und Mühen in mit dem 3D-Format – werden Sie auch ihre kommenden Filme in 3D schneiden?
Ich habe absolut nichts dagegen. Es wäre eine Schande so viel über die Bildgestaltung und die Wirkung von 3D gelernt und damit gearbeitet zu haben und dieses Knowhow nicht weiter zu nutzen. Ich wäre froh über kommende 3D-Aufträge und bin gespannt, was die Zukunft bringt.
Tim, vielen Dank für die großartige Arbeit und das Interview!
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