medienwoche@IFA: Quo Vadius, Kinodigitalisierung? Verbände verteidigen weiterhin bisherige Standpunkte
Selbst in der hauseigenen Pressemitteilung steht „debattiert aktuellen Stand“. Doch von Diskussion kann keine Rede sein, wenn auf dem Panel jeder Diskutant in ausreichender Zeit seinen Standpunkt erläutert. Und mit Blick auf die Uhr sowohl die Podiums-Diskussion wie auch die Publikumsfragen einfach ausfallen lässt. Um die Frage der Überschrift zu beantworten, wohin die bundesdeutsche Kinodigitalisierung geht: Es hat sich nicht viel getan. In regelmäßigen Abständen sitzen die gleichen Leute an wechselnden Orten mit den bestehenden Meinungen. Größte Veränderung: Bisher war bei der Diskussion um die Digitalisierung immer nach wenigen Minuten ein Schlagabtausch zwischen Arthaus- und Multiplexkino entbrannt. Diese Begriffe vermeidet man nun und spricht, getreu dem aktuellen Vorschlagsmodells des BKM, synonym von Markt- und Kriterienkinos. Ansonsten: alles beim alten. Bedauerlich.
In der Moderation von Christiane von Wahlert, Geschäftsführerin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Wiesbaden sollten eigentlich folgende Herren und die Dame in der Diskussion gemeinsam der Lösung der Finanzierung der flächendeckenden Digitalisierung in Deutschland einen Schritt näher kommen:
- Dr. Christian Bräuer, Vorstand, AG Kino – Gilde / Geschäftsführer, Yorck-Kino-Gruppe, Berlin
- Peter Dinges, Vorstand, Filmförderungsanstalt (FFA), Berlin
- Torsten Frehse, Geschäftsführer, Neue Visionen Filmverleih, Berlin
- Martin Hagemann, Geschäftsführer, zero fiction film, Berlin
- Johannes Klingsporn, Geschäftsführer, Verband der Filmverleiher / Verwertungsgesellschaft für Nutzungsrechte an Filmwerken (VGF), Berlin
- Angelika Krüger-Leißner, Mitglied des Deutschen Bundestages, Filmpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
- Dr. Thomas Negele, Vorstandsvorsitzender, HDF Kino, Berlin
Festhalten kann man: auch nach einer dreijährigen intensiven Erörterung unter Beteiligung des Bundes, der Länder und der Filmbranche ist die Finanzierung der Digitalisierung für etwa 1.000 Kinos, darunter viele Arthau-Kinos, noch immer nicht geklärt. Zu den weiterhin offenen Fragen, so offenbarte die Debatte zur Kinodigitalisierung auf dem Medienwochen-Panel am Dienstagnachmittag, gehören die Höhe der VPF (Virtual Print Fee), der technische Standard bei kleineren Kinos sowie die Finanzierung bei den Kinos, die weder einen Zuschuss von den Verleihern, noch einen Vertrag mit einem Finanzinvestor erhalten. 15 Prozent der deutschen Kinoleinwände sind bisher digitalisiert, vor allem in den Multiplexkinos. Weniger als 10 Prozent der Leinwände sind 3D-fähig. International und national nimmt die Zahl digitaler Spielfilme aber stetig zu, zudem erhöht die Digitalisierung die Flexibilität der Kinos und senkt die Verleiherkosten. Deshalb mahnte Martin Hagemann eine schnelle Digitalisierung an, da durch die jahrelange Debatte um Standards und die Finanzierung der Digitalisierung die deutsche Filmwirtschaft viel Zeit verloren habe.
Angelika Krüger-Leißner bedauerte, dass die ursprünglich flächendeckende Branchenlösung, die vor drei Jahren angestrebt worden ist, nicht durchsetzbar ist. Dennoch halte es die Politik für wichtig, dass möglichst alle Kinos als Orte der Kultur, erhalten bleiben und nicht einer digital-getriebenen Marktbereinigung zum Opfer fallen. Deshalb will der Bund mit vier Millionen Euro jährlich vor allem die kleineren Kinos fördern, um eine Kino-Grundversorgung auch in ländlichen Gebieten zu garantieren. das Problem: der Betrag ist gesperrt. Und wie bekannt, verfallen nicht abgerufene Beträge, da sie anscheinend nicht dringend benötigt werden- zumal in Zeiten gigantischer Haushaltslöcher. Jetzt haben wir September- Krüger-Leißner forderte den Haushaltsausschuss des Bundestages auf, diese Mittel für 2010 freizugeben, auch wenn sich noch nicht alle Länder an der Finanzierung beteiligen, damit noch 2010 die Umrüstung in großem Umfang beginnen kann.
Die FFA stellt 15 Mio. Euro für die Digitalisierung von Kinos zur Verfügung, die mindestens einen Umsatz von 40.000 Euro oder 8.000 Besucher pro Jahr erreichen, informierte Peter Dinges. Das seien insgesamt 1.500 Kinos. Damit könnten beim einem Investitionsaufwand von 72.000 Euro maximal 48.000 durch Steuermittel des Bundes und der Länder und Branchenmittel der FFA gedeckt werden. Woher die restliche Finanzierung von ca. 24.000 Euro bei den Kinos kommen soll, wird nicht beantwortet.
Die Filmverleiher, vertreten durch Johannes Klingsporn, sagen eine Beteiligung mit einem Gesamtvolumen von ca. 20 Mio. Euro zu. Das große Aber: kein Kino werde den gleichen Betrag erhalten und nicht jedes Kino werde auf einen Verleiherzuschuss hoffen können, da das ursprüngliche Modell einer pauschalen Unterstützung aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden kann. Die finanzielle Beteiligung erfolge in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Leitungsfähigkeit der Kinos.
Für Dr. Thomas Negele, Torsten Frehse und Dr. Christian Bräuer bietet das jetzige Finanzierungsmodell keine Garantie, dass alle Kinos den Übergang in das digitale Zeitalter überleben werden. Als tragisch für die Zukunft der Arthaus-Kinos bezeichnete Dr. Christian Bräuer, den gegenwärtigen Stand der Diskussion. Kaum ein kleineres Kino wäre in der Lage, die Finanzierungslücke zu den öffentlichen Mitteln aus eigener Kraft zu schließen. Vor allem pocht die AG Kino weiterhin auf eine Lockerung des DCI-Standards von 2K auf eine kleinere Auflösung von 1,3K, da viele kleinere Kinos keinen Nutzen und nur höhere Kosten von der 2K-Projektion verursacht sehen. Wie allerdings der Firmenstandard von 2K dann wieder runtergerechnet oder komprimiert auf der Leinwand aussieht, möchte ich mir gar nicht ausmalen. 2K ist ein Mindeststandard, die Anzahl der 4K-Projektoren nehmen zu. Ein paar Hallen weiter präsentiert Panasonic bereits riesige 152″-3DTV-Geräte mit einer Auflösung in 4K. Und die Investition in die Zukunft der Arthaus-Kinos soll auf dem Stand aus dem Jahr 2000 durchgeführt werden? Mir absolut unverständlich.
Torsten Frehse verwies auf die überdurchschnittliche Belastung kleinerer Kinos und unabhängiger Verleihfirmen bei einer Beteiligung durch Finanzinvestoren. Dadurch bestünde die Gefahr, dass unabhängige Verleiher, die vor allem deutsche Filme vermarkten, diese Kosten nicht aufbringen können und vom Markt verschwinden werden. Außerdem wehrt er sich gegen den „aufoktroyierten DCI-Standard des US-Filmkartells“. Wenn ich mir die Diskussion der letzten drei Jahre betrachte, frage ich mich, ob wir jemals einen einigermaßen gültigen deutschen Standard hätten etablieren können, dem scheint nicht so.
Die Mehrzahl der Kinos, so Dr. Thomas Negele, benötige eine finanzielle Unterstützung bei der Digitalisierung. Eine Finanzierung durch Finanzinvestoren bedeute für die Kinos eine höhere finanzielle Belastung von 25-30 Prozent. Zudem besteht bei ca. 1.000 Kinos die Gefahr, dass sie weder eine finanzielle Hilfe durch die Verleiher noch einen Finanzierungsvertrag mit den Third Parties erhalten. Für diese Kinos müsse eine höhere Förderung durch öffentliche Mittel erfolgen.
Alles bekannte Statements der Vertreter getreu ihres Verbandes. Während nebenan die Zukunft der Unterhaltungsindustrie wegweisende Neuerungen vorstellt, scheint die Innovationsbereitschaft auf dem Podium noch im Jahre 2007 verhaftet. Wenn nicht alle Verbandsvertreter das keine Stückchen mehr über ihren Schatten springen, werden wir weiter zusehen, wie nach Frankreich auch weitere Länder ohne Mühe an unserem Status vorbeiziehen. Statt aus der Pleite beim 100er-Modell gelernt zu haben, zockt und pokert man weiter. In Berlin eröffnet demnächst der Boulevard der Stars am Potsdamer Platz. An selber Stelle habe ich 2007 mal einen Walk of Fame der Kinos vorgeschlagen. Sollten sich nicht ALLE Verbände aus der Einsicht der Notwendigkeit der flächendeckenden Digitalisierung bewegen, wird sich wohl bald ein Friedhof der kleinen und der Programm-Kinos empfehlen. Und das hat dann vermutlich niemand kommen sehen…
Hallo Gerold,
danke für den Bericht. Ich möchte allerdings anmerken, dass im Hinblick auf die Digitalprojektoren „neu“ (technischer Stand 2010) noch lange nicht „notwendig“ bedeutet. Die AG Kino und AG Verleih propagieren das Modell der <2K Variante nicht, weil sie der Meinung sind, dass ihre Zuschauer ob der vielen Pixel blind werden sollen. Sie würden sich ins eigene Fleisch schneiden.
Vielmehr gibt es doch schon seit mehr als 5 Jahren gute Erfahrungen mit Nicht-DCI-Systemen. Letztlich kommt es doch nur auf die Leinwandgröße im betreffenden Kino an – eine 10m Leinwand braucht mehr Bildpunkte in der Breite als eine 6m Leinwand. Alles andere findet doch im nicht-sichtbaren Bereich statt.
Zudem, ich weiß nicht, ob es Thema war, geht es bei den DCI-Specs doch auch immer um die Autonomie der Kinos und den Zugang zu den Systemen durch andere Verleiher.
Wer sich nun automatisch, weil "höher, schneller, weiter" so attraktiv klingt, auf die Seite der DCI schlägt, der verhindert damit letztlich auch ein pluralistisches System im Kinobereich. Das Portal Cinebiz hat dazu eine kleine Umfrage gemacht, in der sich 68% für eine Öffnung nach "unten" ausgesprochen haben und lediglich 16% der Teilnehmer aus qualitativen Gründen für den DCI-Standard waren. Sicherlich nichts repräsentatives, aber als Anhaltspunkt vielleicht geeignet.
Ich denke, dass man durchaus kritisch mit der DCI umgehen darf und nicht einfach immer nur das K-Argument in den Raum stellen sollte. Das ist zwar gegenüber den technisch uninteressierten Zuschauern sehr simpel, aber letztlich wollen die nur ein gutes Bild und einen guten Ton. Vielleicht ist es vergleichbar mit dem Markt für digitale Fotoapparate: mehr Megapixel in der ganzseitigen Werbung bedeuten noch lange nicht bessere Fotos.
Ansonsten … weiter so und Danke
Gruß
Daniel
Hallo Daniel,
danke für Deinen Kommentar. Ich gebe dir vollkommen recht: mehr Pixel machen noch keinen guten Film und keinen guten Kinobesuch. Doch leider gilt auch für viele der kleinen Kriterienkinos, die ich so besuche: derzeit gibt es auch in 35mm kein gutes Bild und keinen guten Ton, abhängig von der Gesamtausrüstung der Kinos und der Qualität des Materials und des Filmvorführers.
Die Umfrage von Mediabiz kenne ich, habe selbst mein Häkchen gesetzt. Die Zahlen müssten dann aber für beide Bereiche Pro und Contra addiert sein, demnach sind es 33,1 % auf der Seite von DCI. 37% halten kleinere Lösungen für ausreichend, 18% DCI zu teuer, 11,8 % legen Wert auf Technik-Neutralität. Das Problem, wie Du schon sagst, die Umfrage ist nicht repräsentativ, da weder die Grundgesamtheit bestimmt und ausgewogen ist, noch die Fallzahl mit angegeben wird. In Berlin hatten wir im Zoo-Palast seit dem Jahr 2000 die erste deutsche Digitalprojektion mit einer 1,3K-Auflösung. Ich bin froh, dass ich das heute nicht mehr sehen muss. Natürlich kommt es auf die Leinwand-Größe an. Und natürlich braucht eine 6 Quadratmeter-Leinwand keine 4K-Auflösung. Die Lampen der Projektoren sind dimmbar, das wird auch in den meisten digitalen Häusern so eingesetzt, um eine Gesamteffizienz aus Lichtstärke, Bildqualität, Leinwand-Größe und Kosten zu erreichen. Um sein Augenlicht muss der Arthaus-Besucher auch in der digitalen Zukunft nicht fürchten.
Mein Problem mit der Diskussion ist, dass wir seit 3 Jahren über das Thema an sich sprechen, und man flächendeckende Lösungen aufgrund der Haltung der Verbände verzockt hat. Und man scheint nicht daraus zu lernen: wenn man sich nicht bald gemeinsam einigt, wird jeder Kinobetreiber aus Profitgründen oder aus Marktzwang seinen eigenen Deal zur Digitalisierung ausgehandelt haben. Auf der Strecke werden dabei die kleinen finanz- und strukturschwachen Kinos bleiben. Das regelt dann der Markt final. Mein Drängen auf gemeinsame Lösungen ist der Wunsch nach Erhalt der Kino-Vielfalt.
Die Autonomie der Kinos war leider nur in einem kurzen Nebensatz Thema, zu einer Diskussion kam es ja im Panel leider gar nicht erst.
Ich stimme dir vollkommen zu, dass man kritisch mit dem DCI-Standard sein darf- nur Frage ich mich bei den Vorwürfen gegen das „böse US-Film-Kartell“ immer, wie denn wohl ein deutscher OpenSource-Standard ausgesehen hätte. Denn offen ist genauso ein Angstwort, da man gleichzeitig gegen Raubkopien und Internet kämpft. Und ob man sich vor lauter Verbandstreue jemals auf eine gangbare Lösung geeinigt hätte (die dann auch noch weltweit mitgetragen würde), bleibt fraglich. Es wird gerne übersehen, dass es beim DCI-Standard mit dem Fraunhofer-Institut auch eine deutsche Beteiligung gab.
Die Diskussionen des letzten Jahres, egal auf welcher Messe/Kongress/Panel, machen eines deutlich: man kämpft für Sonderfälle, zum Beispiel für ein strukturschwaches Kino mit einer 6 qm-Leinwand, ohne dabei eine Lösung für die meisten voranzubringen. Und nach meinem Empfinden tickt die Uhr für eine gemeinsame Lösung mittlerweile bedrohlich.
Beste Grüße,
Gerold