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3D oder nicht 3D– das ist die Frage, die ich euch mit dieser neuen Rubrik auf DigitaleLeinwand beantworten möchte. Nachschub an neuen stereoskopischen Filmen gibt es genug, doch ist das 3D-Erlebnis wirklich ein Vergnügen? Davon steht meist nichts in der Vielzahl der Filmkritiken, da sich die Kritiker zu oft nicht besonders gut mit dem 3D-Format auskennen oder dem 3D-Kino eher dogmatisch gegenüber stehen. Diese Antwort möchte ich euch nun regelmäßig auf DigitaleLeinwand geben. Dabei geht es mir nicht um noch eine Filmkritik im feuilletonistischen Kontext, sondern um eine Bewertung der 3D-Qualität, die sich sowohl mit dem Potential, der kreativen Umsetzung, den Effekten vor der Leinwand und der immersiven Raumtiefe als auch mit Bildfehlern beschäftigt. Natürlich sind manche Empfindungen hochgradig subjektiv. Doch meine Stammleser wissen: DigitaleLeinwand guckt seit Beginn des digitalen 3D-Zeitalters im Frühjahr 2009 alle 3D-Filme für euch. Das sollte eine gute Grundlage sein.  🙂

Besonders freue ich mich die Rubrik mit dem heißesten Anwärter der diesjährigen Oscar-Verleihung zu beginnen: Hugo Cabret von Martin Scorsese startet heute deutschlandweit in 206 3D-Kinos.

Und auch eure Meinung ist gefragt: am Ende des Artikels findet ihr eine Möglichkeit zur Abstimmung- werdet ihr euch den Film in 2D oder in 3D ansehen? Ich bin gespannt auf euer Feedback und wünsche euch interessante und gute Unterhaltung bei 3D oder nicht 3D!

3D-Potential

Ein Kinderbuch eines recht unbekannten Autors, das zur Hälfte aus Text, zur Hälfte aus Illustrationen besteht. Ein bisher in 3D unerfahrener Regisseur. Nicht zwingend denkt man dabei an ein fantastisches 3D-Erlebnis. Doch handelt es sich bei Hugo Cabret  um das 3D-Debut des Regiemeisters Martin Scorsese. Und die Buchvorlage von Brian Selznick liefert neben einer charmanten Abenteuergeschichte drei große technische Komplexe: der Beginn des Kinos, die faszinierende Welt der Automaten und die Bühnenmagie. Eingebettet in ein historisches Paris der 20er Jahre in einen unübersichtlich katakombigen Bahnhof, in der Uhraufzieher Hugo durch Gänge und Tunnel, über Leitern und Stege in große Türme in gigantische Uhrwerke eintaucht. Höhen, Tiefen, Weite, Enge, Perspektive, räumliche Veränderung – die Klaviatur der stereoskopischen Gestaltung umfasst viele Oktaven, die virtuos bespielt werden können.
[sws_grey_box box_size=“570″]3D-Potential- Wertung: 5/5 [/sws_grey_box]

formale und kreative 3D-Umsetzung

Gleich zu Beginn des Films beweist man Qualität: die Exposition ist eine lange Zoomfahrt von einem Himmel über dem historischen Paris, hineinführend in den Bahnhof und auch in die Geschichte. Die Bildgestaltung zieht uns regelrecht in den Ort und die Geschichte, man wird ein Teil von ihr, vielleicht als Waisenjunge Hugo Cabret, vielleicht als einer der flanierenden Passanten.

Hugo Cabret wurde aufwändig in 3D gefilmt, Marty ist kein Mann für halbe Sachen. Und das zahlt sich im visuellen Erlebnis aus. Sets und Kostüme kommen in den opulenten Szenen im Bahnhof oder im Café zur Geltung, trotz der Menge an sich bewegenden Personen. Lange Kamerafahrten über die Bahnsteige lassen einen staunen- eine 3D-Kamera muss keinesfalls statisch oder auf einem Kran fest montiert sein- es kann auch die Steadycam auf dem Segway sein. Das 3D ist nie zum Selbstzweck vordergründig eingesetzt, sondern dient stets der Bildgestaltung und der Erzeugung von Emotionen.

Natürlich darf eine Hommage an die Lumières mit ihrem einfahrenden Zug- einer der ersten 3D-Film-Experimente überhaupt –  nicht fehlen.

Wie wunderbar schön die original Filme von Georges Méliès im restaurierten digitalen Gewand- und vor allem in 3D! – aussehen, muss man einfach mit eigenen Augen sehen. Die 3D-Konvertierung der Archivfilme ist sensibel und doch eindeutig. Eines ist klar: Méliès war ein Magier auf der Bühne und entwickelte mit seinen Féerien fantastische Abenteuerreisen in das Land der Träume. Dabei nutzte er alles, was an technischen Tricks zur Verfügung stand, von der Bühnen-Falltür bis zum von ihm entwickelten Stoptrick, um seine Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Und hätte Méliès bereits die technischen Möglichkeiten für stereoskopischen Film gehabt, hätte er auch Le Voyage dans la Lune in 3D gedreht (das Original kann man sich übrigens hier ansehen).
[sws_grey_box box_size=“570″]3D-Umsetzungs- Wertung: 5/5 [/sws_grey_box]

PopOuts und Raumtiefe

Bei Zaubertricks und Lumière-Jahrmarktskino mag man auch an 3D-Gimmkicks vor der Leinwand denken. Tatsächlich aber verwendet Hugo Cabret  viel atmosphärische Gestaltung vor der Leinwand durch aufwirbelnden Staub in der Luft oder den Dampf der Loks. Offensichtlich wird ein OutofScreen-Effekt in der Szene der Entdeckung der Zeichnungen von Georges Méliès durch Hugo und Isabelle: die einzelnen bemalten Blätter fliegen und wirbeln durch die Luft- man möchte eines davon erhaschen und dem Geheimnis auf die Spur kommen.

Das Potential der räumlichen Tiefe wird in Hugo Cabret voll ausgenutzt, vielleicht so kreativ wie in keinem 3D-Realfilm vorher. Tiefe kann auch Weite oder Höhe oder Nähe bedeuten. Wir ahnen die Gefahr, wenn Hugo wie Harold Lloyd am Zeiger der Turmuhr hängt, die gähnende Tiefe unter sich. Wir fühlen die Enge der unterirdischen Korridore im Bahnhof. Der Blick über die Weite des nächtlichen Paris lädt selbst zum Träumen ein. Der Dobermann des Bahnhofinspektors rückt uns bedrohlich auf die Pelle. Alles wurde mit genügend Details zum Entdecken und genügend Zeit zum Verweilen des Blicks versehen.

Hugo Cabret besticht durch seine opulenten Sets, wie den Bahnhof, der Turmuhr mit seinem Uhrwerk oder dem Weg durch die Stadt über Friedhof und Brücken. Alles ist reichhaltig an visuellen Informationen, es existieren viele natürliche Staffelungen, die für einen tollen Raumeindruck sorgen. Natürlich ist auch das Filmatelier von George Méliès mit seinen Aufnahmen ein unterhaltsamer Spaß, der mit den Möglichkeiten der Stereoskopie die alten Filmtricks wiederbelebt, beispielsweise die Hummer vor der Unterwasser-Féerie, die näher zur Kamera in ein Aquarium gleiten und nicht Teil des Bühnengeschehens sind. Die visuellen Tricks der Bühnenmagier der Zeit sind hier liebevoll und charmant neu in 3D interpretiert.

Auch die Blickführung durch Verlagerung der Schärfen zwischen den gestaffelten Tiefen ist sehr gut umgesetzt.

Wie hervorragend man durch die Bildgestaltung Emotionen erzeugen kann, beweist eine Szene mit Sacha Baron Cohen, der als Bahnhofsinspektor Waisenkinder einfängt und ans Kinderheim ausliefert. In einem CloseUp neigt sich er sich ohne Blickkontakt zum Publikum langsam aus der Leinwand – inhaltlich will er damit Hugo Cabret einschüchtern, doch fühlt sich auch das Publikum bedrängt. Und er rückt immer noch näher, dem Zuschauer wird es mulmig, man möchte selber davon laufen. Für diesen immersiven Moment braucht es weder Grusel-MakeUp noch Schockeffekt, sondern nur ein Gesicht in 3D mit einer Tiefenverlagerung. Simpel und doch sehr effektiv.

[sws_grey_box box_size=“570″]Popouts und Tiefe- Wertung: 5/5 [/sws_grey_box]

 

Helligkeit und Bildfehler

Die Helligkeit der Bilder ist auch in Nachtszenen oder schummrigen Orten sogar im Real D-Kino kontrastreich und klar. Dafür braucht Hugo Cabret  keine übertriebene Comicgestaltung, die reichen Farben in Kostümen und Sets, sowie eine hervorragende Beleuchtung liefern ein hervorragendes und authentisches Bild. Ein echter Maßstab für Realfilme in 3D!

Leider treten in wenigen Szenen Ghosting-Fehler auf, vor allem bei dunklen Szenen mit kontrastreichen Elementen. Das ist bei der sonstigen 3D-Qualität aber absolut zu entschuldigen und mindert nicht das Filmerlebnis.

[sws_grey_box box_size=“570″]Helligkeit und Bildfehler- Wertung: 4/5[/sws_grey_box]

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Gesamtwertung: 19 von 20 möglichen Punkten

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Fazit:

Mit Hugo Cabret liefert Martin Scorsese nicht nur eine schöne Abenteuergeschichte für das Familienkino ab, sondern auch einen absolutes 3D-Meisterwerk. Die formale und kreative stereoskopische Umsetzung ist ein neuer Maßstab im 3D-Realfilm. Gekonnt setzt Scorsese die Möglichkeiten des Formats in jeder Szene gewinnbringend um, ohne aufdringliche Effekte in den Vordergrund zu stellen.
Seine liebevolle Hommage an die Frühzeit des Kinos folgt eng der Romanvorlage von Brian Selznick, wenn auch mit kleinen Änderungen. Und Hugo Cabret transportiert sicher durch die fiktionale Rahmenhandlung allerlei spannende Informationen über den historischen Filmpionier Georges Méliès, was Lust auf eine eigene Entdeckungsreise durch die Frühzeit des Films macht.

Eine wahre Hommage vom Filmpionier an den Filmpionier. Meine klare Empfehlung: Hugo Cabret ist ein Film, den man unbedingt im Kino auf der großen Leinwand sehen muss. Und definitiv in stereoskopischen 3D!

Was ist eure Meinung? 3D oder nicht 3D?

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